Donnerstag, 25. Januar 2007

Nachruf

Er schlief in Bambushütten, in verlausten Betten, unter freiem Himmel; er trank mit schmutzigem Wasser gekochten Tee und aß, was es eben so gab und was keineswegs immer identifizierbar war: Er lebte so wie die Menschen, über die er schrieb. Und er liebte sie. In Afrika beobachtete er einmal eine Versammlung in einem besonders armen Dorf; die Leute baten ihn um ein paar Worte. Kapuscinski war verlegen, doch die Menschen drängten ihn. Dann sagte er, ohne groß zu überlegen: "Jeder von Euch hat ein besseres Leben verdient." An diese kürzeste Erklärung der Menschenrechte aller Zeiten glaubte er, dafür riskierte er sein Leben. Er fing sich Malaria ein, er wurde von Söldnern eingesperrt, er riskierte immer wieder seine Haut für eine gute Geschichte. Dann betete er: Bitte lieber Gott, lass mich noch einmal davonkommen, danach werde ich nie wieder etwas Gefährliches tun.
Ryszard Kapuscinski war neben V.S. Naipaul der beste Reporter der Nachkriegszeit, die er häufig mitten im Krieg verbrachte. Sein Arbeitsplatz war der Planet Erde; er kannte ihn wie seine Westentasche. Doch es ging ihm nicht nur darum, die literarische Anwaltschaft der Dritten Welt zu übernehmen. Sein kurz vor der polnischen Solidarnosc-Revolution veröffentlichtes Buch über den "König der Könige" in Äthiopien - gemeint ist der Diktator Haile Selassi - las sich vor allem als Parabel über totale Herrschaft. Er berichtete über Kriege in Lateinamerika, die wegen verlorener Fußballkriege begonnen werden; er sezierte das Sowjetimperium, das sich sein Land einverleibt hatte. (...)
Aus den manchmal Jahrzehnte alten Stichwörtern komponierte er seine wunderbaren Bücher. Er schrieb auch über sich. Aber nicht aus Eitelkeit. Sondern weil er überzeugt war, dass eine gute Reportage nicht nur eine gute Geschichte braucht. Neben der Dramatik der Ereignisse zählte für Kapuscinski auch der kluge, originelle Gedanke des Autors. In einer Zeit, in der alle Alles schon zu wissen glauben, weil die Bilder eines Ereignisses heute schneller in der Welt sind als jemals zuvor und in der das Internet das Phänomen der gefühlten Nachrichten noch verstärkt, ist der Tod des Essayisten Kapuscinski ein bitterer Verlust. Denn dieser kosmopolitische Pole konnte die Welt nicht nur beschreiben, er konnte sie auch erklären. Und wer kann das schon?
Ryszard Kapuscinski gehört zu den glaubwürdigsten Journalisten, die es je gegeben hat. Sein letztes veröffentlichtes Buch ist eine Hommage an sein großes Vorbild, den antiken Reporter Herodot. "Die Götter sind neidisch und wankelmütig" schrieb der in seinen Historien. Und Kapuscinski, der natürlich an Gott geglaubt hat, weil es im Kugelhagel keine Atheisten gibt, wusste: "Die Erde ist ein gewalttätiges Paradies."

Aus: Der beste Reporter der Welt. Von Claus Christian Malzahn. Spiegel-Online, 24. Januar 2007.

74jährig ist der polnische Dichter, Reisende, Philosoph und Reporter Ryszard Kapuscinski am Dienstag an einem Herzinfarkt gestorben. Er sagte über sich: "Ich bin Detektiv einer positiv verstandenen Fremdheit, mit der ich in Berührung kommen möchte, um sie zu verstehen."
Besonders empfehlenswert scheint mir sein Buch "Afrikanisches Fieber". Es war mir Geschenk, Lehre und prägendes Erlebnis.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Afrikanissches Fieber" ist momentan noch bei mir, ich bin aber nur bereit es weiter/ zurück zu geben wenn ich meine longue longue cd zurückbekomme.

Rest in Peace Ryszard Kapuscinski.

Anonym hat gesagt…

Im Februar erscheint zudem das Buch "Notizen eines Weltenbürgers".

Anonym hat gesagt…

heute ist wg fest meine damen und herren. soyez les bienvenues.