Bruxelles I – Die ULB
Die Universität als prioritärer Beweggrund meiner Reise nach Brüssel sowie gleichsam auch als Mittelpunkt meines Aufenthalts steht am Anfang meiner Beschreibung dieser Stadt.
„Sweet student life“, bemerke ich jeweils gegenüber meinem spanischen Zimmergenossen Joan, wenn dieser an einem Mittwochmorgen wieder einmal gegen Mittag aufsteht. Die Tatsache jedoch, dass auch ich um diese Zeit noch Zuhause verweile, zeigt auf, wie sehr diese Beschreibung ebenso auf meinen bisherigen Studentenalltag in Brüssel zutrifft. Die akademische Uhr scheint hier etwas langsamer als in der Schweiz zu ticken, die Uni-Zeit scheint mehr Lebensphase als Talentschmiede und Karrieresprungbrett zu sein, die Ansprüche sind etwas tiefer.
Dieser Gang der Dinge klingt zwar verlockend und vermochte auch mich in den ersten Wochen zu begeistern, birgt jedoch durchaus auch gewisse Gefahren und vermag meinen Lernhunger – meinem gemütlich-müssigen Naturell zum Trotz – kaum einmal zu sättigen.
Überrascht wurde ich auch von der lebhaften, freien und ausgelassenen Atmosphäre auf dem Campus du Solbosch, meinem universitären Zuhause. Hier ist Leben, Gelassenheit, es wird gefeiert, getrunken; nicht viel erinnert auf den ersten Blick an das Wissen und die Vorgänge hinter den Mauern der meist rennovationsbedürftigen Gebäude. Dem gewohnt seriösen und sachlichen Anstrich der Schweizer Universitäten tritt hier ein eigentlich recht roher Drang nach Leben, nach einem letzten Auskosten der jugendlichen Freiheit entgegen. Die studentischen Verbindungen, die sich hier noch immer einem ungleich höheren Zuspruch erfreuen als in der Schweiz, sind die beispielhaftesten Vertreter dieser speziellen, unterhaltsamen aber teilweise auch recht ermüdenden und fragwürdigen Geschehnisse und Aktivitäten der (vorwiegend jüngeren) Studenten.
Die Université Libre de Bruxelles unterrichtet 20 000 Studenten und hat 5000 Angestellte. Sie verfügt über drei Standorte innerhalb der Stadt und liegt im Shanghai Ranking 2007, das die Forschungsarbeit der grösseren Lehranstalten weltweit vergleicht, gleichauf mit der Uni Genf auf einem Platz zwischen 100 – 150. Die interessante Geschichte der Lehranstalt ist gleichsam eng mit jener Belgiens verbunden und erzählt so unter anderem von der konfliktiven Aufspaltung der vormals zweisprachigen Universität in autonome flämische und frankophone Teile.
Von der klösterlichen Atmosphäre des Uni Zürich-Zentrums reichlich verwöhnt, wunderte ich mich anfangs über den fast durchwegs schlechten Zustand der universitären Infrastruktur. In einer ehemaligen Fabrik eingerichtet hinterlässt der gesamte Campus du Solbosch einen etwas anrüchigen Eindruck, zudem gehören technische Pannen (Mikrofon, Beamer, nicht-funktionierende Heizungen) auch während der Vorlesungen scheinbar zum etwas chaotischen Unialltag. Nichts desto trotz trägt gerade auch dieses verruchte, scheinbar un-universitäre Umfeld zur lebhaften, alternativ-freudigen Atmosphäre auf dem Campus bei – was durchaus sein Gutes hat.
Dem Anstrich und Gewand nach ist also vieles anders hier. Im Herzen sind sich letztlich wohl aber alle Universitäten ähnlich. Während ich mich noch heute fast täglich über die hiesige Lernmethodik ärgere (dazu an dieser Stelle zu einem anderen Zeitpunkt mehr) und in vielen administrativen Umwegen viel Unsinniges erkenne, bin ich doch gleichermassen begeistert von den Möglichkeiten, die einem dieses Bildungsinstitut aufzuzeigen vermag, von der akademischen Tiefe und Sorgfältigkeit, mit denen ein Problem angegangen wird, von den vielen gescheiten Lehrenden und Forschenden, die auf der Suche nach einem nächsten und übernächsten Schritt nach Vorne ihr Leben der Wissenschaft widmen. Als Bachelor-Student bleiben einem nichts desto trotz viele verheissungsvolle Türen verschlossen, da einem der Zugang zu sämtlichen Masterkursen verwehrt bleibt. Dies ist für mich gerade deshalb recht enttäuschend, weil das belgische Bachelor-System dem schweizerischen bezüglich sachlicher Tiefe und intellektueller Anforderung um drei, vier Meter hinterherhinkt. Die interessantesten Kurse des Europainstituts und des Entwicklungspolitik-Masters finden für mich so hinter verschlossenen Türen statt.
Soweit meine ersten Eindrücke dieser belgischen, universitären Welt. Bleibt zum Schluss nur zu vermerken, dass diese leichte Enttäuschung über Qualität und Niveau der Kurse ein durchaus schweizerisches Phänomen zu sein scheinen. Während sich die grosse Mehrheit der Erasmus-Studierenden sehr zufrieden zeigt, haben mir zwei Mitstudenten ähnliche Zweifel kundgetan – zwei Schweizer… Die Moral dieser Erkenntnis? Der Denkplatz Schweiz (siehe heutige NZZ) scheint kein schlechtes Zuhause zu sein.
5 Kommentare:
kleine Anmerkung bezüglich Universitäten und Leistungsniveau und so: Für die gleiche Vorlesung (Ökonometrie I) erhalten Studenten der Uni Zürich 3 Credits, ETH Studenten 2 Credits.
"Universitäten sind schöne Misthaufen, auf denen gelegentlich einmal eine edle Pflanze gedeiht."
den dritten ects-punkt erhalten die uni-studenten als kompensation dafür, dass das uni-budget für 24 000 studierende mit 1. mia. 25 % kleiner ist als jenes der eth, die 14 000 studenten hat. in anbetracht dessen halten wir uns bei leibe nicht schlecht, oder...?
das ist wohl die schlechteste ausrede. der budgetunterschied mag vielleicht 20 plätze im shanghai ranking zu erklären (die anderen 20 verliert ihr beim kiffen und bei der esoterik). aber für den punkt mehr gibt es einzig und allein die erkölärung, dass die eth eine eliteschule ist.
...oder deren studenten sich zumindest so fühlen... :)
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