Montag, 23. Juni 2008

Zürich, letzter Akt?

In einigen Tagen nimmt meine Zürcher Zeit ein (vorläufiges?) Ende. Auf die vergangenen zwei Jahre zurückblickend verabschiede ich mich mit Freude und Wehmut aus dieser Stadt, von den Leuten, die mir hier begegneten, an der Uni, beim Fussball, am Rebhüsliweg. Diese erste permanente Station fernab der alten, wohlbekannten Heimat und Familie hat mich vieles gelehrt. Zürich war, trotz der geographischen Nähe zu Burgdorf, anfangs eine Herausforderung für mich. Die Anonymität der riesigen Uni, der Stadt und das unbeständige Ein und Aus in einer 10er-WG hatten oft Stunden und Tage der inneren Leere zur Folge, boten Anlass zu Selbstzweifel, hielten mir Spiegel vor und zeigten mir mit Schärfe die in jungen Jahren schwierige Aufgabe und Pflicht der Selbstverantwortung auf. Nicht waren es hierbei die praktischen Schwierigkeiten des Alltags, die mir grössere Probleme bereiteten (obwohl ich, das geb ich zu, noch immer kein grosser Koch bin und auch kein Bügeleisen besitze…); vielmehr hatte das einigermassen plötzliche Verlassen der familiären Routine und also ein entsprechender Struktur- und Routineverlust ein Vakuum zur Folge, dass ich, und eben ich allein, auszufüllen hatte. Dieser wichtige Prozess geht schliesslich immer auch einher mit einer zwingenden Intensivierung der Auseinandersetzung mit seiner selbst, mit schmerzhaften und erfreulichen Selbsterfahrungen hin zu einer breiteren Selbstkenntnis. Der Weg zum Erwachsenwerden geht in diesem Sinne also nicht lediglich durch den Geist, sondern ergibt sich auch durch die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Herausforderung, seinen eigenen Alltag, sein wohnliches und soziales Umfeld selbständig auszugestalten.Im Umfeld des Rebhüsliwegs wird einem jungen, heimatsuchenden Zugezogenen, wie ich es war, bei diesem Eingliederungsprozess nicht unbedingt geholfen. Eine heterogene Gruppe von zehn Personen ist zu gross, als dass man sich mit jedem und jeder finden könnte, mit allen mit- und nicht nebeneinander lebte. So galt und gilt es, sich seinen Platz im Gefüge zu suchen, sich eben sein eigenes Konstrukt einer heimatlichen Kommune aufzubauen, dass andere zwar nicht ausschloss, aber eben soziale Prioritäten setzt, so blöd das klingen mag. So findet sich hier unter den oberflächlichen Freundlichkeitsstrukturen denn auch keine Familie, keine Harmoniegesellschaft, in der über Ziel und Zweck dieses Zusammenlebens Einigkeit herrschte. Das Persönliche scheint in diesem Sinne wohl oft allzu gefährlich, konfliktträchtig, sodass es oft bei flachen Gesprächsrunden bleibt oder teils gar nicht mehr erst dazu kommt. Es liegt bei dir, wen du hier sein möchtest, wieviel du von dir preisgibst. Zusammen wohnen und zusammen leben verkommt sodann hier teilweise beinahe zur Gegensätzlichkeit.

Das Aufeinandertreffen der Gegensätzlichkeiten und die Notwendigkeit der Kompromissfindung sind wichtige Lehrplätze, die dich verändern, dir im Umgang mit den kleinen Marotten und Laster deiner Mitmenschen Toleranz und Nachsicht lehren. Diese besonderen Umstände machen diese kleine Welt schliesslich – den latenten Interessenskonflikten zum Trotz - zu einem interessanten und farbigen kleinen Mikrokosmos der irgendwie funktionierenden Vielfältigkeit - ein wichtiger Grund wohl, weshalb mir dieser Ort am Rande des Chäferbergs trotz allem zum lebenswerten Stückchen Heimat geworden ist. Nicht zu vergessen auch, dass ich hier nebstdem einige Freunde finden durfte. Menschen aus verschiedenen Ländern, Studenten der Geographie, Chemie, Germanistik, 20 oder 30 Jahre alt. Sie werden mir in Erinnerung bleiben, als kleine Familie, als diejenigen, die mir in der anfänglichen Fremde ein Stück Heimat schenkten.

Die Uni als eigentlicher Beweggrund meines Umzugs nach Zürich stand während den gesamten zwei Jahren im Zentrum meines Aufenthalts. Dies, obwohl ich dieser grossen Institution mit prächtigem Turmhaus am Züriberg anfangs mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenübertrat. Bald schon aber entwickelte sich eine persönliche Faszination an dieser akademischen Welt, die bis heute nichts an Intensität verloren hat. Dieser Ort des Wissens eröffnete mir mit jeder Woche neue Perspektiven der Welt. Ich befand mich auf einer grossen Entdeckungsreise durch Landschaften, die ich selbst bestimmen, aus einem riesigen Katalog aussuchen durfte. Fast, als wärs die Lektüre eines langen und immer länger werdenden Romans las ich aus dem Wissen der Welt, über die Welt, schien mit jedem Kapitel ein wenig mehr zu verstehen – und verstehen zu wollen, las also weiter und beobachtete, wie klein in seiner universellen Relation, wie wichtig aber im praktischen Alltag dies zu Lesende, zu Hörende und zu Schreibende ist oder sein kann und soll. Schärfer wird einem der Blick, kleine Wellen der Desillusionierung branden an, stellen den Bezug zur Realität unmittelbar her, führen zu einer vagen Ahnung der Komplexität des Seins, einer Anerkennung dieser, zum Versuch, auf deren Grundlage zu wirken, zu denken.

Ich habe, und dafür bin ich – im Wissen auch, wie wenig selbstverständlich dies mit Blick um mich ist – sehr dankbar, das richtige Studium gewählt. Politik fasziniert mich, weniger auf rein rechtlich-juristischer Ebene als gemeinhin angenommene ausschliessliche Staatswissenschaft, sondern vielmehr als stetes Abbild des Menschen, dessen Bedürfnissen, des Glaubens, des Zeitgeists. Denn das Studium der Politik ist immer ein Studium der Welt und dessen, was sie bewegt, sie zum Funktionieren bringt, mal besser, mal weniger gut.

An was werde ich mich nebstdem erinnern? An Zürich als Stadt wohl, als einen globalisierten, interessanten Ort, dessen Seele ich jedoch nie richtig zu finden und spüren vermochte. Zürich auch als erste persönliche urbane Erfahrung, als kultureller Schmelztiegel, als ein letztlich bestens funktionierendes Konstrukt vieler kleiner Welten, vieler Menschen, die teils unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein paar hundert Meter nur liegen zwischen Bahnhof- und Langstrasse, den zwei grundverschiedenen (urbanen) Seelen der Schweiz, die wohl nirgendwo sonst so unmittelbar erfahrbar und ersichtlich sind.

Weiter werde ich mich an die Börse, an den Fussballklub, an die Wälder und Spaziergänge rundum Zürich erinnern. An die Absurditäten des Arbeitsalltags also im grossen Finanzgebäude neben der Sihl, an die Menschen im Büro, die freundlich lächelnd an ihrer Karriere feilten, mit denen ich aber nie recht gemeinsame Gesprächsthemen fand, mich häufig etwas unverstanden und belächelt fühlte. Die Stunden auf dem Sportplatz Fronwald schliesslich, ein authentischer Einblick ins Zürich der Büezer, des multikulturellen Nebeneinanders dieser Stadt. Ein gefeierter Aufstieg auch, die mühseligen Sonntagmorgen, Besammlung: 8.00 Uhr. Nebstdem ein Meistertitel des FCZ, vor Ort im Stadion miterlebt und mitgefühlt, das Feiern, Hupen, Singen auf den Gassen in lebhafter Erinnerung.

Es war eine gute Zeit hier an der Limmat, am Zürisee, Chäferberg, irgendwo zwischen Aufbruch und Heimatwerdung. Viel zu sagen gäbs allemahl noch, ein zu langes Abschiedskonzert jedoch solls nicht sein, ein Jahr nur und ich bin (wahrscheinlich) zurück. Die vielen Gesichter, damit verbundene Charaktere und Weltansichten, Erlebnisse und Erfahrungen nehme ich jedenfalls mit aus dieser Stadt, pack sie in meinen Koffer und zieh weiter Richtung Norden, nach Brüssel, weiter dann – nun, wohin? In den Süden, nach Uganda? Wer weiss. "Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen" (Antoine de Saint-Exupéry).

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

mir ist der beitrag einfach ein wenig zu lang.

Anonym hat gesagt…

ich finde den beitrag gelungen und wünsche fabian frohen mut im EU Land