Donnerstag, 26. Juni 2008

Weisst du noch...?




Das Schwerste am Heimkommen nach einer Reise ist vielleicht, dass sich die Erinnerungen unaufhaltsam ins Vergessen ergiessen, dass alle Erlebnisse und Erkenntnisse im Dachboden des Gedächtnisses verstauben und vermodern, bis man sie kaum noch entziffern kann, dass alles Geschehene von der zähflüssigen Realität zuhause bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird, bis man Zweifel an der Echtheit der Erinnerungen hegt, die Bilder am inneren Auge wie ein unbekannter Film vorbeiziehen, indem man sich nicht mehr selbst als Protagonist erkennt.
Manchmal schaue ich mir all die Bilder an. Doch sie schweigen. Und niemand sitzt neben mir, zeigt darauf und sagt: „Weißt du noch..?“.
Es gibt auch nur sehr wenige Menschen zerstreut auf dem Erdenball, die dies sagen könnten. Denn nur selten bin ich mit jemandem einige Tage den gleichen Weg gegangen. Und nur mit einem hat es sich tatsächlich gelohnt.

Nach langer Weigerung habe ich nun seit 2 Wochen auch so ein Seelenstrip-Acount auf Facebook. Warum bin ich nicht früher darauf gekommen? Einfach Name eingeben und schon findet man verschollene Bekanntschaften überall auf der Welt. (Sofern man sich an deren Namen erinnern kann.) So habe ich denn auch Tomer Laban wiedergefunden. Zwei Wochen sind wir damals zusammen durch Bolivien geirrt, staunend, redend, schweigend, verstehend…teilend. Es war vielleicht die beste Zeit überhaupt. Und seine Mail-Adresse war wohl das Wertvollste, das mir mit meinem gestohlenen Gepäck abhanden gekommen ist. Ein Freund für immer verschollen.
Aber wie gesagt, es gibt Facebook. Und so kam es, dass wir uns nach über einem Jahr endlich wieder getroffen haben, wenn auch nur im virtuellen Live-Messenger-Fenster. Aber es reicht für das ersehnte „Weißt du noch…?“

Weißt du noch wie wir in Sucre den ganzen Tag in den Palmen der Plaza nach Faultieren gesucht haben, nur weil du irgendwo gehört hast, es gäbe welche, und du nicht weg wolltest, bis du eines gesehen hast?
… und wie wir mit Händen und Füssen den Einheimischen mitteilen wollten, welches Tier wir suchen, bis wir uns aufgrund der erfolglosen recht absurden Nachahmungsversuche nur noch lachend auf dem Boden wälzten..?
… und wie wir Faultier-besessen, mit einer Flasche Whisky, die halbe Nacht auf der Parkbank verbrachten..?
Und weißt du noch, als wir unser Hostel nicht mehr wiederfanden und jeder den wir fragten immer sagte „dos cuadras, dos cuadras“ (2 Blocks weiter), bis wir merkten dass gar niemand eine Ahnung hatte und sie uns vergnügt nur ständig im Kreis herumirren liessen…
Und wie wir dann in dieser heruntergekommenen, menschenleeren Karaoke-Bar landeten, wo wir im Duett dutzende Evergreens ins Mikrofon trällerten, sich nach und nach eine Masse von völlig begeisterten Bolivianos um uns scherrte und wir zum Highlight der ganzen Stadt wurden..?
Weißt du noch, damals diese 3 verrückten Tage mit dem Zelt im Dschungel, mit diesem selbsternannten „Guide“ Juan, der den ganzen Tag high war und uns planlos irgendwo ins nirgendwo führte bis uns das Essen ausging und wir Piranias fischten…?
Und als ich dann krank wurde und kaum noch stehen konnte und du mich stundenlang durch den Regenwald geschleppt hast?
Weißt du noch, all die Zecken danach, die wir uns gegenseitig entfernt haben!
Weißt du noch, auf dem Hexenmarkt, die Zauberpülverchen und die magischen Lama-Embryos.. und der Trip in diese abscheuliche Silbermine?
Weißt du noch, all die schlaflosen Nächte, weil wir uns so unendlich viel zu sagen hatten.
Und weißt du noch, all die Busfahrten, wie wir schwebend zwischen Traum und Wirklichkeit aus dem Fenster starrten, ergriffen vom Anblick der unfassbaren Schönheit, stundenlang schweigend, aber Welten von Gedanken austauschend, Hand in Hand, das Gesehene teilend mit der tiefen Gewissheit, dass sich unsere Wege wieder kreuzen werden um „Weißt du noch..“ zu sagen...


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