Wenn man sich auf Reisen in ärmere Länder begibt, trifft man hin und wieder auf den Supermenschen. Er (oder sie) ist die Idealfigur des 21. Jahrhunderts, ein aalglatter Moralist! Er (oder sie... aber belassen wir es von nun an beim er) hat bereits viele Länder bereist, ist jung oder fühlt sich so, lächelt freundlich, wenn man ihn das erste Mal trifft, ist unheimlich tolerant gegenüber allem und jedem, versucht sich hartnäckig und verbissen dem Fremden anzunähern, sich zu integrieren, einzufügen in die tolle Farbigkeit der Welt. Er findet das Andere immer etwas besser als das Heimische, ist nur im Notfall patriotisch gesinnt, ist Optimist oder Zweckoptimist, Träumer und Visionär, Idealist, Pazifist und Humanist und glaubt sowieso stets: Das Gute wird siegen, man muss nur daran glauben und lächeln, Amen! Er haut nie über die Stränge, weil er trotz seiner ewigen Jugendlichkeit zu alt dafür ist, nickt aus Freundlichkeit, auch wenn er anderer Meinung ist und weiss vielleicht selbst nicht genau, welcher Meinung er ist. Er findet, dass der Westen kalt und kapitalistisch, der Süden lebensfroh und menschlich sei, und will sich täglich aufs Neue davon überzeugen, dass Geld nicht glücklich macht. Er ist nicht launisch, nicht böse, nicht pathetisch, nicht vereinnahmend, nicht hämisch. Er verträgt Ironie und scharfen Humor nur schlecht, da sie Leute verletzen und verderben könnten, er findet, man müsse fair, gerecht und nachsichtig sein. Er lässt sich gerne auf Diskussionen ein, die uns in seichtem, widerspruchs- und wellenlosen Gewässer in den Schlaf singen. Alles was zählt ist schliesslich der Glaube ans Gute.
Weniger gern mag er hingegen Dissonanzen, kleine Risse in der Argumentationsstruktur seiner himmelblauen Welt, unbequeme Fragen, ein Verschwimmen zwischen Schwarz und Weiss, eine Ahnung der Komplexität der Welt.
Ja, es sind deren viele. Der Supermensch ist überall. Und ich mochte ihn stets, früher, dachte: Ach, was für ein guter Kerl! Oder: Oh, ein reines Herz! Heute geht mir der Supermensch an manchen Tagen gehörig auf die Nerven. Dieser farblose Gutmensch, Produkt und Ableitung einer Prinzipiensammlung einer allzu oberflächlichen Moral, erscheint mir manchmal fast wie eine Art neo-religiöser Eiferer, der sich das Diesseits mit dem Weissmalkasten aus dem persönlichen Jenseits zurechtmalt, immer heller, denn der Farbe ist genug vorhanden. Funktionierend nach dem Grundsatz „Gut ist, was gut ist!“ spaziert er also mit freundlichster Miene und völliger Unschuld durch die Welt. Das Resultat? Ein Automatismus, wie soll es anders sein, so lange man sich gut, wertvoll, sozial, moralisch, global, herzlich und rein fühlt. Denn Gutes hat Gutes zur Folge, unabdingbar, unweigerlich.
Ach! Mir sind mittlerweile die schrägen Typen lieber, jene, die halt in ihrer Art spinnen, etwas verrückt sind, nicht linienförmig das allzu schlichte Ideal zu konkurrieren versuchen. Mal über die Stränge schlagen, seine Ratio besiegen. Ein, zwei Bier zu viel, ein derber Witz, eine politisch inkorrekte Bemerkung. Kreativität, Eigensinn, Scharfsinn, echter, also auch die Tragik des Seins tolerierender Humor! Da darf, ja soll man auch mal launisch, wählerisch, abweisend oder schroff sein, soll – ja, genau! - seinen Geist reiten, bis an die Grenzen des eigenen Universums, und weit darüber hinaus. Es lauern Gefahren auf diesem Pfad, jawohl, doch es ist auch der Pfad der genial-eigentümlichen Menschlichkeit, der Musik, deren Töne über die einfache Tonleiter hinausgehen. Ich glaube nicht an den Mensch aus der Retorte, an die scheinbare und in der Scheinbarkeit verheerende Perfektion. Irgendwann wird die Welt sterben, und wir mit ihr. Wenn also die Flut kommt und du weiter betend niederkniest und lächelnd aufs Gute hoffst, dann werde ich es nicht sein, der am andern Ende still dasitzt. Ich werde tanzen, weinen, lächeln, schreien, schweigen, sein und werden...
Freitag, 1. Mai 2009
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1 Kommentar:
Wunderbar!
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