Dienstag, 24. Februar 2009

Die unbesiegbaren Verlierer

Und am Ende wird trotzdem gelacht. Die zahllosen Diskussionen um Gründe und Ursache des tragischen Schicksals Afrikas haben trotz ihrer Vielseitigkeit eins gemeinsam: ihren Humor. Die Afrikaner sind nicht unterzukriegen, sie sind keine notorischen Schwarzmaler – Obamas „Audacity of Hope“ birgt in seinem Kern tatsächlich etwas Urafrikanisches. Täglich gelangen wir, sei es während der Vorlesung, bei einem Tee oder auch mal ganz Nebenbei, zur Frage nach dem Warum. Warum steckt Afrika in der Misere? Diese immer wiederkehrenden Fragen und die daraus hervorgehenden Erklärungen und Lösungsvorschläge sind mir nicht neu. Sie werden in Europa genauso diskutiert, an der Uni etwa, aber auch in den Medien oder im Freundeskreis. Hier jedoch erlangt die Diskussion einen völlig anderen Bezug, findet unter gänzlich anderen Vorzeichen statt. Die Menschen, die uns gegenübersitzen und mit uns übers Weshalb und Wieso werweissen, sind keine aussenstehenden, aus weiter Ferne beurteilenden Europäer, sondern die Betroffenen selbst, Mitmenschen, deren Namen du kennst, die dir in ihrer afrikanischen, von Offenheit und Herzlichkeit geprägten Art sympathisch sind. Manchmal mag es mir fast so erscheinen, als hätte ich in einsamer Kammer jahrelang Kriegsstrategien studiert, ohne die Front zu kennen - und ihre Soldaten. Die Theorie basiert auf Mathematik und Logos, die Welt jedoch besteht nicht aus Zahlen. Die Front ist hier; und du, plötzlich mittendrin, deinen Büchern entrissen und von der alltäglichen, unmittelbaren Widersprüchlichkeit der Welt erfasst, hörst staunend, bedrückt zu und fühlst dich mit deinem Lehrbuchwissen reichlich fremd und deplaziert.
Zuhörend und lernend sitze ich also da und ergänze mein sanftgebettetes schweizerisches Weltbild mit den Ecken und Kanten der globalen Realität. Und langsam fügt sich, Tag um Tag, ein verändertes, die schwarzgrauen Strukturen der Theorie um Farbtöne erweitertes Verständnismuster zusammen, aus tausend Teilen bestehend, manchmal tragisch und ernüchternd, dann wieder hoffnungsfroh und ermutigend.
Warum? Auf diese eine Frage gibt’s dutzende Antworten, die je nach Gesprächspartner, dessen soziale und wirtschaftliche Stellung, Religiosität und Bildung recht stark variieren. Lachen jedoch tun sie alle. Diese unbedingte, nicht mal künstlich wirkende Leichtigkeit des Seins erstaunt in Anbetracht der Misere, mit der sich die Menschen hier täglich aufs Neue konfrontiert sehen. Und trotz aller Bewunderung hierfür bleibt am Ende immer auch die Frage: Ist dies Lachen nicht allzu oft auch die bequemere Alternative zum Handeln?
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Nach zwei Wochen Uni ist vieles weiterhin unklar. Einige Kurse haben noch immer nicht begonnen, andere werden verschoben und kollidieren nun mit anderen Veranstaltungen, sodass mein Stundenplan täglich umstrukturiert wird und eine alltägliche Routine noch kaum einkehren konnte. Nur ist das hier scheinbar kaum Anlass zur Sorge, sondern schlicht normal und der akademischen Alltäglichkeit entsprechend. Im europäischen Quervergleich ist das universitäre Umfeld hier weniger stark geprägt von einer sachlich-formellen, auf Prinzipien der Respektzollung und recht strikten Hierarchie fussenden Atmosphäre, die ich mir während den letzten zweieinhalb Jahren zuerst in Zürich, dann in Brüssel verinnerlichte.
Das Verhältnis zwischen Studentenschaft und Lehrenden ist locker und freundschaftlich, man spricht sich mit Vornamen an, trinkt nach der Vorlesung auch mal einen Tee zusammen und während der Kurse gibt’s – was der Unterrichtsqualität bestimmt nicht immer förderlich ist – einiges Persönliches zu erzählen und stets vieles zu lachen. Neulich sass ich über eine Stunde im Büro eines Professors und habe mich mit ihm über seine Kinder unterhalten. Als europäischer Austauschstudent wird man zudem auch mit dem Dean seines Departments bekannt gemacht, wodurch ich als kleiner Bachelorstudent bereits mit drei Departmentssoberhäupter (Political Science, Social Anthropology, Geography) einen Schwatz hielt und mich dabei immer seltsam prominent und stets sehr weiss fühlte.
Die Qualität der Kurse ist wie Zuhause in beträchtlichem Umfang vom Professor abhängig und variiert entsprechend stark. Während einige Dozierende mehr als Komiker denn als Wissenschaftler auftreten, scheinen andere sehr kompetent und legen Wert auf einen vielfältigen, seriösen und interaktiven Wissensaustausch. Natürlich bewegt man sich zumindest an der Social Science-Fakultät noch weit entfernt von Powerpoint basierten Seminaren und einer virtuellen Lernumgebung. Nicht desto trotz kriegt man sein Diplom hier nicht umsonst. Die Politologie-Studenten verfügen auf meiner Stufe über ein solides und recht breites Grundwissen, sind über die Entwicklungen der USA sowie der Europäischen Union genauso informiert wie über die Hintergründe und Aktualitäten in Somalia, im Kongo oder in Simbabwe und vermögen zudem andere wie auch ihre eigenen Machthaber mit erstaunlicher Schärfe und Weitblick zu kritisieren.
Und so gleicht sich also unter der Oberfläche doch erstaunlich vieles, was beim ersten Hingucken anders, exotisch und ungewohnt schien. Nicht, dass die Missverständnisse ausblieben und man sich auch mal beim innerlichen Kopfschütteln beobachtet, unverstanden oder angegriffen fühlte. Die Einsicht, dass ein Verstehen, dass Brücken zwischen verschiedenen Welten und Kulturen möglich sind, ist aber letztlich jenes, was mich heute auf dieser Reise, auf der ich kein Durchreisender, sondern vielmehr Mitbewohner und also zumindest vorübergehend Teil eines lokalen Alltags bin, ermutigt und hoffnungsfroh stimmt.
Als ich gestern mit Volker, einem deutschen Austauschstudenten sowie Elisha und Michael, zwei kenianischen Mitstudenten, auf einem der vielen Hügeln Kampalas sass (Bild) und auf die ausgedehnten Quartiere der Stadt hinunterblickte, sagte Ersterer zu mir: „Bevor ich hierher kam dachte ich mir, alles würde anders sein. Nun sitzen wir hier neben grasenden Kühen, blicken zusammen mit zwei Freunden in die Ferne, essen unser Zvieri, sprechen über Gott und die Welt und erfreuen uns des freien Sonntags. Genau so stelle ich mir das Wandern in der Schweiz vor“.

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