Dienstag, 3. Juli 2007

Chäferberg-Marschkommando

Gestern beim abendlichen Gang durch den nahen Wald wurde ich zum wiederholten Male mit einem sich scheinbar unwiderruflich ausbreitenden Phänomen der modernen Gesellschaft konfrontiert. Ich erinnerte mich alsbald an einen dem entsprechenden Bericht, den ich euch nicht vorenthalten möchte.

Das hinkt
Ohne Nordic Walking kommt man in dieser Zeit nicht weit. Fragt sich nur: Geht’s noch?

Manchmal mache ich am Sonntag im nahen Wäldchen einen harmlosen Spaziergang. Während ich selbstvergessen das Lichterspiel in den Baumkronen bewundere, den Geruch von Sauerklee einatme und von einer Reise in den Kongo träume, nähert sich plötzlich in brutalem Stakkato ein Rollkommando, mit einem Anführer, der den Rhythmus vorgibt und seine Mannschaft mit martialischen Parolen anfeuert, hinter sich sein blind gehorchendes Gefolge, mit spitzen Stöcken bewehrt, finster und zu allem entschlossen, in grellen Uniformen. Ich springe zur Seite, und im Stechschritt marschieren sie an mir vorbei, ohne mir etwas anzutun. Nordic Walking!Sie tragen alle spezielle Gürtel mit speziellen Flaschen dran, und sie scheinen etwas zu suchen. Es scheint sich um eine sehr wichtige Operation zu handeln, so soldatisch ernst wie sie dreinblicken. Ich habe mir sagen lassen, es handle sich um eine Art Wandern, aber auf gelenkschonende Weise. Doch das kann es nicht sein. Der Sportwissenschaftler Thomas Jöllenbeck von der Orthopädischen Rehabilitationsklinik Bad Sassendorf hat kürzlich in einer Studie die Entlastungsthese hieb- und stichfest widerlegt: Stöcke erleichtern den Knien ihre Arbeit nicht. Es wäre ja auch seltsam, dass nach Jahrtausenden aufrechten Gangs der Mensch für die normale Fortbewegung plötzlich Carbon-Stöcke ab 100 Franken aufwärts nötig haben sollte und Spezialschuhwerk mit Spezialpolsterung für 150 Franken und ein Herzfrequenz-Messgerät für die Pulskontrolle sowie ausgeschilderte Spezialstrecken (schwarz für schwer, rot für mittel, blau für leicht), eine professionelle Schulung und eine eigene Sprache («Poles» heissen die Skistöcke jetzt). Ich verlasse den Weg, gehe querfeldein und lobe mir meine Füsse, die mich mein Leben lang zuverlässig und gratis getragen haben.
Von David Signer, Weltwoche 27/06

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

einen gruss an sarah von mir.

Anonym hat gesagt…

übrigens: was noch vergessen wurde: die extra-walking-kleider. bestimmt auch teuer, und so im schnitt, dass die meisten erst noch ein bischen mehr walken sollten.

Anonym hat gesagt…

Sehr praktisch bei diesem Sport: Man braucht keine Babysitter mehr!! Denn, man binde das Baby einfach an den Rücken, nehme seine Stöcke und los gehts!! Soll beruhigend wirken für das Baby, so auf und ab schaukeln. Man braucht es dann auch nicht mehr auf einen Trockner oder eine Waschmaschine zu stellen!

Anonym hat gesagt…

Danke, Jean-Baptiste und dir, David Signer, für diese ach so den Nagel auf den Stock- eh den Kopf treffende Zeilen...